Was ist eigentlich eine "Stationäre Krisenbetreuung" und wie läuft das ab?
In den beiden Krisenwohngruppen Mogli (Kinder) und change (Jugendliche) leben für drei bis vier Monate Kinder und Jugendliche zusammen in jeweils einer gemeinsamen Wohnung, da diese Kinder und Jugendlich aus den unterschiedlichsten Gründen, vorübergehend oder auch langfristig nicht bei ihren Familien leben können. Sie werden bei uns von einem Team aus Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Psychologinnen und Psychologen sowie Haushälterinnen und Haushältern rund um die Uhr betreut, begleitet und in allen Alltagsbelangen unterstützt.
Zielgruppe der Krisenbetreuung sind Kinder und Jugendliche, die akut Schutz brauchen. Zuständig für diese Kinder und Jugendlichen ist hier die Kinder- und Jugendhilfe der jeweiligen Bezirksbehörden, welche hierfür auch um einen freien Platz in Mogli oder change anfragen. Für manche ist es eine Zwischenstation in eine weiterführende Einrichtung, für manche Kinder und Jugendliche und deren Systeme stellt die Betreuung eine Art „Auszeit“ dar um dann, mit Unterstützung, eine Rückkehr in das Familiensystem zu ermöglichen. Für die Eltern stehen während der Zeit der Krisenbetreuung eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfügung.
Welche Eigenschaften muss man in Ihrem Beruf mitbringen? Ist Ihr Beruf eine Berufung?
Wichtig ist die Liebe zu Menschen, die sich in besonderen, herausfordernden Lebenslagen befinden sowie die Bereitschaft, sich immer wieder auf diese einzulassen und sie dann auch wieder loszulassen. Es gilt, diesen besonderen Menschen mit ihren Bedürfnissen in der Zeit der Krisenbetreuung ein Gefühl der Sicherheit, des Angenommenseins und der Hoffnung auf eine gute Zukunft zu vermitteln.
Dieser Beruf ist aus meiner Sicht sicher eine Berufung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen sich als gesamte Person zur Verfügung und dies 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrem Beruf? Was ist das Schöne daran?
Die größten Herausforderungen sind die Lebensgeschichten der Kinder und Jugendlichen und auch jene ihrer Eltern und Bezugspersonen. Damit verbunden sind die Auswirkungen, welche diese auf sie haben und wie diese Umstände sie belasten und teilweise zu destruktiven Lösungsansätzen führen.
Auf der anderen Seite ist das Schöne zu erleben, wie Kinder und Jugendliche im positivsten Sinne damit umgehen. Wie sie sich trotz ihrer Lebensumstände entwickelt haben und welche Lebensfreude sie zeigen. Wenn sie herzhaft lachen können, ist dies ein sehr schöner Moment.
Sie sind in Ihrem Berufsalltag mit vielen Schicksalen konfrontiert - Wie geht man im Alltag damit um, dass es einen im Privatleben nicht allzu sehr mitnimmt?
Hier entwickelt jeder für sich Rituale um abschalten zu können. Für mich ist es die Fahrt mit dem Zug nach Hause, um Abstand zu bekommen. Wichtig ist auch der Austausch im Team, mit den Kolleginnen und Kollegen über diese Schicksale zu sprechen. Auch nehmen wir regelmäßig Supervision in Anspruch, wo Raum für Themen ist, welche einen beschäftigen.
Haben Sie eine besonders berührende Anekdote aus Ihrem Arbeitsalltag, die Sie gerne erzählen möchten?
Es gibt hier viele vermeintlich kleine Momente, welche mich sehr berühren. Ein besonderer Moment war zum Beispiel, bei einer Abschiedsfeier von einem Kind und die anderen Kinder der Gruppe geben diesem Kind Wünsche mit auf den Weg. Dabei meinte ein fünfjähriges Kind: „Ich wünsche dir, dass du in der Wohngruppe schnell Freunde findest und Mama und Papa dich auch weiter besuchen kommen!“
Momente, die mich berühren, sind auch jene, wenn Kinder oder Jugendliche nach Jahren wieder einmal vorbeischauen und erzählen, wie es ihnen ergangen ist. Wenn sie zum Beispiel eine Lehre abgeschlossen haben und sie ihr Leben im besten Sinne meistern, freut mich das sehr. Sie erzählen, dass sie sich noch an die Zeit bei uns erinnern können und wie es für sie damals war. Was ihnen geholfen hat und was eher hinderlich war.
Was raten Sie Menschen, die überlegen, Pflege- oder Adoptiveltern zu werden?
Es ist sehr erfreulich, wenn sich Menschen dafür interessieren. Ich würde ihnen raten, dass sie sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Sie können sich bei der Wohnsitzbehörde, bei plan B bei der Familienberatung oder unserer öffentlichen und umfassenden Fachbibliothek zu diesen Themen Informationen einholen. Pflege- oder Adoptiveltern zu sein stellt eine Elternschaft plus dar. Die Kinder kommen mit einen „Rucksack“ mit Erfahrungen, Emotionen etc. in die Familie. Es ist auch eine sehr erfüllende Aufgabe, einem Kind einen Platz im Herzen und in der Familie zu geben, wo es sicher und geschützt aufwachsen kann.
Verein plan B feierte heuer 40 jähriges Bestehen: Was waren rückblickend die Highlights für Sie? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Highlights gab es in der langen Geschichte von plan B zu viele, um alle hier einzeln anzuführen. Unser oberstes Ziel ist Kindern, die zeitweilig oder dauerhaft nicht bei ihren Herkunftsfamilien leben können, Schutz und Halt zu geben. Daher freut es uns einfach besonders, dass so viele junge Menschen in dieser Zeit in einer anderen Familie Liebe, Zuwendung, Geborgenheit und die Chance auf eine gedeihliche Entwicklung gefunden haben. Adoptiv-, Pflege-, Krisenpflege- und IN-Familien leisten Unschätzbares, in erster Linie für die betroffenen Kinder, aber genauso für die gesamte Gesellschaft. Wir sind stolz darauf, dass wir diese Betreuerfamilien in ihrer wertvollen und unverzichtbaren Aufgabe begleiten und unterstützen dürfen.
Die Herausforderungen der Zukunft sind vielfältig und es bedarf einer gemeinsamen und geschlossenen Weiterentwicklung, um diese bewältigen zu können. Die Themen umspannen einen großen Bogen, der von der Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Flexibilisierung der Unterstützungsangebote für Pflegefamilien, über die Verlängerung der Hilfen für junge Erwachsene bis hin zur verbesserten der Unterstützungsangebote für Herkunftsfamilien reicht.